2020 - Familie Arndt, Puschkinstraße 53
Verlegung am 24. September 2020
Herr Dr. Ernst Arndt, Jahrgang 1900, Flucht 1933 Frankreich, interniert Drancy, deportiert 1943 Majdanek, Flossenbürg, befreit
Frau Marie Arndt, geborene Lourié, Jahrgang 1912, Flucht 1933 nach Frankreich, mit Hilfe überlebt
Dr. Ernst Arndt kam 1930 als junger Arzt nach Luckenwalde. Er übernahm die Praxis von Dr. Hermann Salomon, nachdem dieser zum Ersten Bürgermeister von Luckenwalde gewählt worden war. Beide kannten sich seit 1919, sie war sich bei einer Veranstaltung einer jüdischen Studentenverbindung (KC - Kartell-Konvent) begegnet.
In Luckenwalde lernte er Marie Lourié kennen, die Tochter eines jüdischen Unternehmers, der aus Russland stammte und seit 1911 in Luckenwalde eine Papierwarenfabrik betrieb (Fa. Sonnenfeld & Co.). Beide heirateten 1932 in Luckenwalde. Sie wohnten in der damaligen Carlstraße 35, wo sich seit 1931 auch die Arztpraxis befand.
Nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, wurden Dr. Ernst Arndt und auch seine Frau Marie bedroht und sind mit knapper Not dem Tod entgangen. Die Täter kamen nachts und riefen Dr. Arndt zu einem Kranken in den Weinbergen am Rand der Staddt, machten dabei aber unklare und widersprüchliche Aussagen, so dass der Arzt eine Falle vermutete und sich weigerte, mit ihnen zu gehen.
Anfang 1933 wurde Dr. Arndt wieder aus dem Schlag geklingelt und zu einem Schwerverletzten gerufen. Marie Arndt berichtet: "Obwohl ihm die ganze Sache seltsam vorkam, zog sich mein Mann an, und auch ich griff zu meinen Sachen, denn ich wollte mitgehen, um ihm zu helfen. Das Ankleiden dauerte den Besuchern wohl zu lange, denn plötzlich wurde ins Haus geschossen. Die Polizei fand am folgenden Tag, wenn ich mich richtig erinnere, neun Patronenhülsen. Eine Kugel war direkt über meinen Kopf geflogen und an der Wand abgeprallt." (Marie Arndt, Brief vom 19.08.1987, in der Fassung des Textbuches zur Ausstellung von 1988)
Wenig später verlangten drei SS-Männer von Dr. Arndt, seine Arztpraxis aufzugeben und Luckenwalde zu verlassen. Diese Forderung wurde durch Androhung von Waffengewalt durchgesetzt. Kurz darauf verließ das Ehepaar Arndt Deutschland und rettete sich nach Frankreich. Sie waren die ersten Emigranten aus Luckenwalde.
Im Februar 1943 - die Wehrmacht hatte den größten Teil Frankreichs besetzt - wurde Dr. Ernst Arndt in Paris festgenommen. Nun begann für ihn eine unfreiwillige Reise durch verschiedene Durchgangs- und Vernichtungslager: Gurs (Südfrankreich), dann Drancy bei Paris, von dort mit Hunderten anderen nach Sobibor. Weil Bedarf an Ärzten und Sanitätern bestand, wurden 35 der Angekommenen nach Majdanek weitergeschickt. Die nächste Station war das Zwangsarbeiterlager Budzyń (Heinkel-Flugzeugwerke). Beim Vorrücken der Roten Armee wurde das Lager nach Wieliczka bei Krakau verlegt, wo die Gefangenen im Salzbergwerk arbeiten mussten. Das letzte Lager war Flossenbürg. Im April 1945, als die amerikanischen Truppen näher kamen, mussten die dort Internierten in Richtung Dachau marschieren, denn Himmler hatte befohlen: "Kein Häftling darf lebend in die Hände des Feindes fallen." Nach vier Nachtmärschen befreite die amerikanische Armee 800 Gefangene. Einer von ihnen war Dr. Ernst Arndt.
Marie Arndt hatte sich in der Zeit der Judenverfolgen in Nizza aufgehalten und war nur knapp den Fängen der Gestapo entgangen.
Dr. Arndt war Arzt aus Berufung. Da seine deutsche Approbation in Frankreich nicht gültig war, begann er im Alter von 46 Jahren seine ganze Ausbildung - Abitur und Medizinstudium - von vorn, so dass er seinen Beruf auch im Land der Emigration ausüben konnte.
In Paris kam er wieder mit Dr. Hermann Salomon zusammen, der die Zeit der Verfolgung auf abenteuerlichen Wegen durch Europa und afrikanische Länder überstanden hatte. Beide Ehepaare besuchten sich gegenseitig. Als Hermann Salomon 1963 seinen 75. Geburtstag beging, hat ihm der zwöl Jahre jüngere Ernst Arndt ein Glückwunschschreiben geschickt, das im KC-Bulletin, dem Mitteilungsblatt der jüdischen Studentenverbindung, veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Es ist heute noch zu früh, über unser 'interessantes' Jahrhundert ein endgültiges Urteil zu fällen. Goethe sagte am Abend der Schlacht von Valmy, der er beiwohnte: Von heute ab beginnt ein neues Zeitalter und Ihr könnt sagen, dass Ihr mit dabei gewesen seid. Diese prophetischen Worte treffen genauch Ihr Lebensschicksal und auch das unsere: Wir sind stets mit dabei gewesen, oft mehr, als uns lieb war."
Marie Arndt wollte ihren Mann immer dazu bewegen, ein Buch zu schreiben, aber er hat es nicht getan. Dr. Ernst Arndt starb 1981 im Alter von 80 Jahren. Seine Witwe hat in ihm in über dreißig Briefen nach Luckenwalde ein Denkmal gesetzt. Ihr letzter Brief ist datiert vom 19. März 1994.