2021 - Familie Steinhardt, Parkstraße 73
Verlegung am 20. September 2021
Herr Julius (Joel) Steinhardt, Jahrgang 1882, Flucht 1939 Palästina, gestorben 1943 Tel Aviv
Frau Malka Ester Steinhardt, geborene Schaffer, Jahrgang 1890, Flucht 1939 Palästina, gestorben 1950 Tel Aviv
Herr Max Steinhardt (Mordechai Shoham), Jahrgang 1920, Flucht 1935 Palästina, Todesdatum unbekannt
Herr Willi Steinhardt (Seew Shoham), Jahrgang 1915, Flucht 1934 Holland, Flucht 1937 Palästina, gestorben 1986 Safed, Israel
Herr Karl Heinz Steinhardt (Chaim Shoham), Jahrgang 1925, Flucht 1939 Palästina, gestorben 1995 Givataim, Israel
Julius Steinhardt und seine Frau Malka Ester stammten aus Galizien (Österreich-Ungarn). Sie hatten kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Nowawes (heute Potsdam-Babelsberg) geheiratet und ließen sich in Luckenwalde nieder. In der Parkstraße 73 betrieb das Ehepaar ein Abzahlungsgeschäft für Möbel und Herrenbekleidung unter der Firma S. Lubascher. Die Wohnung befand sich in einem der oberen Stockwerke. Julius Steinhardt war von 1923 bis 1930, vielleicht sogar bis 1939, in leitenden Funktionen der Synagogen-Gemeinde tätig. Der jüngste der Söhne schrieb über seinen Vater: „In der Gemeinde hatte mein Vater das Amt des Kassierers inne, was nicht sehr viel besagt, denn die Kasse war meist leer. Doch kein bedürftiger jüdischer Durchreisender, und solche gab es damals viele, ging leer aus – meistens dank der privaten Tasche meines Vaters.“
In Luckenwalde wurden dem Ehepaar drei Söhne geboren: Willi (1915), Max (1920) und Karl Heinz (1925). Der Älteste erhielt 1933 in der Friedrichschule das Abitur. Er war ein ausgezeichneter Geigenspieler. Gleich nach Errichtung der NS-Herrschaft hatte er beschlossen, nach Palästina auszuwandern, musste aber zunächst einen „Freiwilligen Arbeitsdienst“ ableisten. 1934 ging er nach Holland; dort heiratete er. 1937 gelangte er zusammen mit seiner Frau Ester endlich nach Palästina. Dort arbeitete er in einem Kibbuz, wurde 1948, nach der Gründung des Staates Israels, Major in der Armee und war zuletzt Lehrer für Naturwissenschaften. Er starb 1986.
Max besuchte die Friedrichschule bis zur Mittleren Reife. Er war ein leidenschaftlicher Fußballspieler. 1935 bekam er ein Schüler-Zertifikat für die Einreise nach Palästina. Die zionistische Bewegung ermöglichte ihm und anderen Gleichaltrigen die Ausreise. In einem Kibbuz lernten die Jugendlichen und arbeiteten halbtags in der Landwirtschaft. In der Werkstatt des Kibbuz qualifizierte sich Max zum Traktoren- und Automechaniker.
In Luckenwalde blieben die Eltern mit Karl Heinz, ihrem jüngsten Sohn, zurück. Karl Heinz Steinhardt, der sich später in Israel Chaim Shoham nannte, war der erste Briefpartner von Detlev Riemer (ehemaliger Luckenwalder Pfarrer) zum Thema jüdische Lokalgeschichte. Als Zeitzeuge hat er von seiner Familie und ihrem Schicksal, aber auch von anderen jüdischen Familien in Luckenwalde, berichtet. Unser umfangreicher Briefwechsel begann 1987 und endete mit seinem Tod 1995.
Als Schüler hatte er unter der Judenfeindschaft seiner Lehrer und Mitschüler zu leiden. Seine Bar Mizwa feierte der Dreizehnjährige Ende September 1938 in der Luckenwalder Synagoge; es war einer der letzten Gottesdienste vor der Verwüstung des Gotteshauses. Wohl schon vor dem Novemberpogrom musste Julius Steinhardt sein Geschäft in die Trebbiner Straße 21 verlegen. Dort war der letzte Wohnsitz der Familie, aber er war nicht freiwillig, sondern unter Zwang gewählt.
Chaim Shoham erinnert sich an die Ausreise: „Meine Eltern und ich verließen Luckenwalde am 28. Februar 1939 und kamen am 9. März 1939 praktisch mittellos in Haifa an. Dort wurden wir von meinen Brüdern und einer Schwester meiner Mutter, die bereits 1936 mit ihrer Familie aus Piesteritz bei Wittenberg ausgewandert war, empfangen. Diese Tante, die mit ihrem Ehemann und zwei Töchtern in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Tel Aviv wohnte, stellte uns die Hälfte ihrer Wohnung zur Verfügung, in der wir dann einige Jahre zusammen wohnten.“
Es war ein schwerer Anfang, insbesondere für die Eltern. Der Vater fand als Kaufmann keine Arbeit, siechte dahin und starb bereits Ende 1943 mit 61 Jahren. Die Mutter starb sechzigjährig im Jahr 1950.
Auch Chaim Shoham (früher Karl Heinz Steinhardt) begann seine berufliche Laufbahn in einem Kibbuz; in Palästina gab es praktisch keine Industrie. „Um die ankommenden Menschenmassen aufzunehmen und zu ernähren, wurden neue landwirtschaftliche Flächen erschlossen, neue Bewässerungsanlagen gebaut und neue Dörfer aus dem Boden gestampft. Dort wurden viele der Neueinwanderer, die damals keine Ahnung von Landwirtschaft hatten, angesiedelt. In Tel Aviv fand ich Arbeit als Leiter der werkseigenen Gemüsefarm einer Konservenfabrik in einem der neu erschlossenen Gebiete im Süden des Landes“, schreibt er. Zuletzt war er als Regierungsberater für Pflanzenschutz tätig.
Anfang Juli 1992 besuchten die Herren Mordechai und Chaim Shoham aus Israel ihre Heimatstadt Luckenwalde.