2024 - Familie Cohn, Zinnaer Straße 14
Verlegung am 9. November 2024
Herr Alfred Cohn, Jahrgang 1899, gestorben 1992
Frau Gertrud Cohn, geb. Weber, Jahrgang 1906, gestorben 1979
Herr Werner Cohn, Jahrgang 1928, gestorben 1978
Herr Karlheinz Peter Cohn, Jahrgang 1934, gestorben 2018
Alfred Cohns Großvater Adolf Friede hatte in Luckenwalde eine Papierfabrik gegründet. Sie befand sich zunächst in der Wilhelmstraße 34, später in der Wilhelmstraße 4 a. Als Adolf Friede 1896 starb, erbte seine Witwe Rebekka Friede die Fabrik; die Firma hieß seitdem bis zu ihrem zwangsweisen Verkauf im Jahre 1939 Papierwarenfabrik A. Friede Wwe. Rebekka Friede starb zwei Jahre nach ihrem Mann; die Firma ging auf die einzige Tochter, Käthe, über. Sie heiratete Hermann Cohn, der gemeinsame Sohn Alfred wurde 1899 in Luckenwalde geboren.
Er besuchte die Friedrichsschule, das heutige Luckenwalder Gymnasium, und trat mit knapp achtzehn Jahren als gestellungspflichtiger Infanterist in den Kriegsdienst ein; er kämpfte an der Ostfront. 1921 wurde er zusammen mit seinem Vater Hermann Prokurist in der mütterlichen Firma. Es ist wahrscheinlich, dass er zuvor eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte; darüber sind keine Einzelheiten bekannt.
Die Mutter Käthe Cohn, geb. Friede, starb 1926 im Alter von 46 Jahren. Nach ihrem Tod wurde die Papierwarenfabrik A. Friede Wwe. eine offene Handelsgesellschaft mit dem Witwer Hermann Cohn und seinem Sohn Alfred als persönlich haftende Gesellschafter.
Alfred Cohn heiratete 1927 die Berliner Jüdin Gertrud Weber, deren Vater in der Nähe des Alexanderplatzes ein Möbelkaufhaus besaß.
Kurz darauf ging auch der Vater Hermann Cohn wieder eine Ehe ein. Erna Camnitzer war gerade 36 Jahre alt geworden, während ihr Mann schon 63 Jahre alt war.
Dem jungen Paar Gertrud und Alfred Cohn wurde am 12. Dezember 1928 der erste Sohn Werner geboren. Auf den Tag genau sechs Jahre später kam der zweite Sohn Karlheinz Peter zur Welt.
1935 starb der Seniorchef der Firma A. Friede Wwe, Hermann Cohn, im Alter von 71 Jahren. Er hinterließ seine Frau Erna geb. Camnitzer; sie war erst 44 Jahre alt und damit nur gut acht Jahre älter als ihr Stiefsohn Alfred. Hermann hatte testamentarisch verfügt, dass sein einziger Sohn Alfred Eigentümer der Papierwarenfabrik wird. Alfred und seine Stiefmutter schlossen im Mai 1935 einen notariellen Vertrag über die zukünftige finanzielle Sicherstellung der Witwe. Solche Verträge können ihre Wirksamkeit allerdings nur in dem geschützten Rahmen eines Rechtsstaats entfalten. Erna Cohn aber lebte in einem Unrechtsstaat; hier hatte sie – wie Hunderttausende andere auch – keine Möglichkeit, ihr Hab und Gut zu behalten und ihr Leben zu bewahren. Am 19.10.1942 wurde sie mit dem 21. Osttransport nach Riga deportiert. Fast alle der 963 Berliner Juden dieses Transports wurden sofort nach ihrer Ankunft am 22.10.1942 erschossen. Für Erna Cohn geb. Camnitzer wurde in der Sybelstraße 69 in Berlin-Charlottenburg ein Stolperstein verlegt.
Anfang 1938 brachten Alfred und Gertrud Cohn ihre Kinder Werner und Karlheinz Peter im jüdischen Landschulheim Caputh unter. Dort waren sie vor antisemitischen Attacken geschützt – allerdings nur für wenige Monate. Das Landschulheim wurde – wie andere jüdische Einrichtungen auch – zum Ziel eines zerstörerischen Angriffs im Rahmen des Novemberpogroms. Gertrud Cohn gab ihre Söhne zunächst in die Obhut ihres Vaters in Berlin, dann ihrer Schwiegermutter Erna Cohn, die inzwischen ebenfalls in Berlin wohnte. Sie sorgte auch dafür, dass Werner eine jüdische Schule besuchte – an regulären Schulen durften Juden nicht unterrichtet werden.
Am 10. November 1938 war Alfred Cohn zusammen mit allen anderen Luckenwalder Juden im Alter von 16 bis 60 Jahren festgenommen und ein paar Tage später ins KZ Sachsenhausen überstellt worden, wo er bis zum 17. Dezember 1938 festgehalten wurde. Die Familie Cohn betrieb nun in aller Eile ihre Auswanderung – richtiger muss man sagen: ihre Flucht aus Nazideutschland. Die Fabrik und das Wohnhaus wurden verkauft. Der Luckenwalder Werkmeister Ernst Hügel erwarb die Fabrik, das Ehepaar Fritz und Frieda List aus Dobbrikow kaufte das Haus. Die Verkaufspreise sind nicht bekannt. Die Angelegenheit zog sich hin und wurde erst abgeschlossen, als die Familie Cohn längst im Ausland war. Wie in allen vergleichbaren Fällen wurden die Verkaufserlöse auf ein Sperrkonto gezahlt und kamen Alfred Cohn nicht zugute. Welchen Erfolg sein Antrag auf Wiedergutmachung nach dem Ende des Krieges hatte, ist nicht bekannt.
Gertrud Cohn schrieb zwölf Jahre danach im Rückblick auf diese Zeit: „Wir sind am 27. Januar 1939 mit unseren Söhnen, von Berlin aus, nach Shanghai, China, ausgewandert. [...] Wir hinterliessen ohne jegliche Vergütung, unsere in Luckenwalde b/Berlin gelegene Papier und Kartonnagenfabrik [sic!] und unser 3 stöckiges Wohnhaus. In unserem Betrieb waren ständig 60 bis 70 Arbeiter beschäftigt [...]“
Nach dem Krieg ist die Familie Cohn von Shanghai aus in die USA weitergewandert. Die Familie ließ sich in Portland im Bundesstaat Oregon nieder.
Als erster aus der Familie starb der Sohn Werner nach einem langen Krebsleiden kurz vor seinem 50. Geburtstag. Die Mutter Gertrud Cohn starb 1979 im Alter von 73 Jahren. Alfred Cohn wurde 92 Jahre alt; er starb Anfang 1992. Karlheinz Peter Cohn starb 2018 im Alter von 83 Jahren. Im Internet ist sein Grabstein abgebildet. Darauf befinden sich zwei jüdische Symbole: der Davidsstern und der Siebenarmige Leuchter. Unten steht mit fünf hebräischen Schriftzeichen abgekürzt: „Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens!“