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Ehrung für Hans und Frida Winkler (posthum)

Von der Israelischen Holocaust-Gedenkstätte YAD VASHEM in Jerusalem sind Hans und Frida Winkler (posthum) mit dem Ehrentitel "Gerechte/r unter den Völkern" ausgezeichnet worden. Die so Geehrten haben viel gewagt, um während der Zeit des Naziregimes verfolgten Juden lebensrettend zu Hilfe zu kommen und dafür im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben und ihre Freiheit eingesetzt.
Berlin und Luckenwalde sind die Orte des Geschehens, deren Mittelpunkt bildete eine kleinere Organisation jüdischer und nicht-jüdischer Widerständler, die ihre kompromisslose Gegnerschaft gegen das Unrechtsregime einte. Sie nannte sich "Gemeinschaft für Frieden und Aufbau". Ihr Gründer war der im Untergrund lebende Berliner Jude Werner Scharff und ihr Leiter Hans Winkler. Nicht wenige der im Berliner Untergrund lebenden Juden haben dank der Geehrten die Zeit ihrer Verfolgung durchgestanden. Eugen Herman-Friede ist einer dieser jüdischen Überlebenden. Als Jugendlicher lebte er längere Zeit illegal im Haushalt von Hans und Frida Winkler. Er war es auch, der die damaligen Ereignisse detailliert für die historische Forschung zugänglich machte. So heißt es in einer Erklärung der Botschaft des Staates Israel.

Gedenkstunde am 20. Februar 2008

In einer Gedenkstunde am 20. Februar 2008 überreichte offiziell der Gesandte an der Botschaft des Staates Israel, Ilan Mor, stellvertretend für die posthum Geehrten ihrer Tochter Ruth Kühne-Winkler die YAD VASHEM-Medaille und -Urkunde. In seinem Grußwort heißt es:
"Meine Damen und Herren, SCHALOM!
Ich begrüße Sie im Namen der Botschaft des Staates Israel in Berlin zu dieser Feierstunde - und heiße Sie alle auf das herzlichste willkommen.
Die heutige Feierstunde, im Namen von YAD VASHEM, lässt mich an ein Wort des Friedensnobelpreisträgers von 1986, Elie Wiesel, denken:
Elie Wiesel, der 1944 als Vierzehnjähriger zusammen mit seiner Familie selbst zum Opfer der Verfolgung durch das Nazi-Regime geworden war und Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, schrieb:
'Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer…Wenn man liest, was eine Handvoll Männer und Frauen erreicht haben, dann versucht man sich vorzustellen, was hätte erreicht werden können, wenn mehr Menschen ihre Anteilnahme gezeigt hätten.'
Sätze, die zwei Dinge zum Ausdruck bringen:
Einerseits, die verzweifelte Betroffenheit darüber, dass damals so viele Menschen schwiegen und alles geschehen ließen, obwohl es darauf angekommen wäre, zu helfen.
Andererseits aber auch Dankbarkeit und Anerkennung den wenigen gegenüber, die handelten und im Rahmen ihrer relativ begrenzten Möglichkeiten alles in ihren Kräften Stehende taten, um Menschen vor Verfolgung und dem sicheren Tod zu retten.
Meine Damen und Herren,
die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde 1953 vom israelischen Parlament, der Knesset, bevollmächtigt, den Menschen den Titel eines "Gerechten unter den Völkern" als Geste des Dankes von Seiten des jüdischen Volkes zu verleihen, die aus rein humanitären Beweggründen unter Einsatz ihres eigenen Lebens Juden gerettet haben.
Die Retterinnen und Retter jüdischen Lebens, die wir heute ehren, haben durch ihr mutiges Handeln gezeigt, dass es auch unter dem Diktat und dem Terror der Nationalsozialisten Menschen gegeben hat, die sich Mitmenschlichkeit und Mitgefühl nicht haben nehmen lassen.
Sie haben dadurch auch die Behauptung, man habe nichts tun können gegen den Terror, als Legende entlarvt.
Die Geschichte der Rettung von Juden vor dem mörderischen Rassenwahn des NS-Regimes ist die Geschichte von Menschen, die diesem verbrecherischen Regime nicht nur ihre Gefolgschaft verweigerten, sondern die - ungeachtet der Gefährlichkeit ihres Tuns für ihr eigenes Leben - an ihrer Menschlichkeit, ihrem Sinn für Gerechtigkeit und an dem für sie Selbstverständlichen festhielten: der Zuwendung an Menschn in Not.
Die Geschichte der Geretteten und ihrer Retter besteht vor allem aus einzelnen Schicksalen.
Sie stehen jeweils für sich allein. In ihrer ganzen Tragik und menschlichen Größe.
Sie lebten Zivilcourage, Anstand, Humanität - und ließen sich nicht darin beirren. Sie sind mit mutigem Beispiel vorangegangen. Menschlichkeit war für sie oberstes Gebot.
Menschen wie sie, die sich entschieden gegen Diskriminierung,Verfolgung und Mord anderer stellten, werden uns unvergessliche Vorbilder bleiben, wie Leuchttürme, die uns immer den Weg zeigen, auch wenn wir weit entfernt oder in der Dunkelheit sind!
Jeder Einzelne der Retter rechtfertigt die Existenz der Welt und den Glauben an die Menschheit.
Der Präsidenten der Vereinigten Staaten, Andrew Jackson, hat gesagt: 'Ein einziger Mann mit Mut ist die Mehrheit.'

Meine Damen und Herren,
die Auszeichnung für ihren Einsatz zur Rettung jüdischen Lebens ist ein Zeichen der Dankbarkeit und der Erinnerung an ihr Tun.
Das Erinnern symbolisiert eine Entschlossenheit, der jungen Generation vor Augen zu führen, wozu Menschen fähig sein können, wenn es um Menschenwürde und Menschenrechte geht.
Eine Erinnerung, die wir aufrechterhalten und weiter verbreiten wollen und müssen: nicht unserer Vergangenheit wegen, sondern um unserer Gegenwart und Zukunft willen.
Meine Damen und Herren,
angesichts der Hasstiraden und des Verbalradikalismus des iranischen Präsidenten gegen Israel in letzter Zeit und angesichts seiner Leugnung des Holocaust ist es unerlässlich, nicht nur der Millionen von Opfern der Schoah, sondern auch derer zu gedenken, die Juden und Nichtjuden vor dem Naziregime retteten.
Das Erinnern soll uns wachsam halten gegen jede Form des Antisemitismus, des Extremismus und der Intoleranz - und zwar Tag für Tag!
Taten wie die der 'Gerechten' lassen uns hoffen, erhalten unseren Glauben an die Menschheit und geben uns Vertrauen in die Existenz der Welt.
Wir verneigen uns vor Ihnen in Dankbarkeit und Hochachtung.
Ich danke Ihnen. Shalom!"

Frau Kühne-Winkler fühlte sich für ihre Eltern geehrt und bedankte sich für die Auszeichnung. Ferner betonte sie: "Ich bin sehr stolz darauf, solche Eltern gehabt zu haben. Leider gab es so wenige, die sich damals für die Menschheit eingesetzt haben, denn sonst würde die Welt ein bisschen besser ausgesehen haben und es hätten mehr überlebt."
An der Gedenkstunde in der israelischen Botschaft nahmen auch Zeitzeuge Eugen Herman-Friede, Bürgermeisterin Elisabeth Herzog-von der Heide und Pfarrer Detlev Riemer teil.
In ihrem Grußwort Grußwort zur Verleihung der Ehrung für Frida und Hans Winkler heißt es:
"Sehr geehrter Herr Botschafter, liebe Ruth Winkler-Kühne, meine sehr geehrten Damen und Herren,
im düstersten Kapitel der deutschen Geschichte, die durch Terror, Furcht, Missachtung von Menschen und ihrer Rechte gekennzeichnet war, hat es auch Lichtpunkte gegeben, die diesem System getrotzt haben. Es erfüllt mich mit Bewunderung, dass Bürger unserer Stadt bereit waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um in der Widerstandsgruppe "Gemeinschaft für Frieden und Aufbau" ihre Gesinnung und Mitmenschlichkeit zu behaupten. Sie riskierten alles, um verfolgte Menschen zu retten; aber auch um in waghalsigen Flugblattaktionen für das Ende des Krieges und den Sturz der mörderischen Diktatur zu kämpfen.
Ich weiß sehr wohl, dass dieser Riesenmut keine Massenbewegung gewesen ist. Wie in allen anderen Städten auch, war Bespitzelung und Denunziation auch in Luckenwalde an der Tagesordnung:

  • Neben denen, die 1931 den jüdischen Arzt Dr. Salomon zum 1. Bürgermeister der Stadt Luckenwalde wählten, hat es diejenigen gegeben, die ihn tyrannisiert und ins Exil getrieben haben.
  • Es hat Schläger und Folterer gegeben. Es hat diejenigen gegeben, die sich offen oder klammheimlich am Hab und Gut derjenigen bereicherten, die alles zurücklassen oder zu einem Spottpreis veräußern mussten.
  • Es hat die Macher gegeben, die lauten Beifallrufer, die stillen Gehilfen, die Dulder und die Weggucker.

Ich halte es für wichtig, sich die ganze Bandbreite menschlichen Verhaltens vor Augen zu führen. Es ist auch richtig, sich ohne überhebliche Selbstgerechtigkeit - über Täter und ihre Untaten zu entrüsten und sich von der Zivilcourage derjenigen beeindrucken zu lassen, die sich widersetzt haben.
Was bedeutet nun die Auszeichnung von Frida und Hans Winkler als Gerechte unter den Völkern für die Stadt?
Vor allem steht, dass die Zeit der menschenverachtenden Diktatur des Nationalsozialismus, die auch die systematische Entrechtung, Lebensbedrohung, Vertreibung, Verfolgung aller Juden Luckenwaldes und die Ermordung vieler bewirkte, niemals vergessen werden darf. Diese barbarischen Umstände machten es ja erst notwendig, dass Menschen wie Frida und Hans Winkler über sich hinauswuchsen, um als Lebensretter ihr eigenes Leben und das ihrer Familie zu riskieren.
Die Auszeichnung macht deutlich, dass die menschlichen Werte, für die Hans und Frida Winkler stehen, zeitlos sind und deren Wertschätzung keinem Verfallsdatum unterliegt.
Die Stadt ist heute stolz auf Hans und Frida Winkler, auf ihre Zivilcourage, die Vorbild ist. Die Stadt ist auch stolz auf die ihren Mitbürgern verliehene Auszeichnung - wohl wissend, dass zwei Gerechte unter den Völkern nicht das in der Stadt begangene Unrecht und die Schuld anderer aufwiegen können."

YAD VASHEM, die Behörde zur Verewigung des Andenkens an die Märtyrer und Helden in Jerusalem ist Erinnerungsstätte und zugleich Forschungszentrum, das sich mit dem Schicksal der Europäischen Juden während der Zeit des Zweiten Weltkrieges befasst. Es hat unter anderem auch die Aufgabe, derer in Dankbarkeit zu gedenken, die mit persönlichem Einsatz und unter Gefährdung des eigenen Lebens, oft auch dem ihrer Familien, versuchten, Juden zu retten.
YAD VASHEM tut dies symbolisch mit dem Ehrentitel "Gerechte/r unter den Völkern". Er umfasst Medaille und Urkunde sowie die Verewigung des Namens auf der MEMORIAL-Wall im "Garten der Gerechten" in YAD VASHEM. Dies ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Nicht-Juden vergibt. Bis heute haben nahezu 23.000 Frauen und Männer aus allen Teilen Europas diesen Ehrentitel erhalten. Unter den Geehrten sind an die 500 Deutsche.

Seite drucken | Autor: Britta Jähner | zuletzt geändert am: 21.10.2019